Neurodermitis ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die bei eher milden Formen gut mit äußerlich wirkenden (topischen) Medikamenten behandelt werden kann. Ist die Erkrankung jedoch moderat bis schwer und die topische Behandlung nicht erfolgreich, sind systemisch (innerlich) wirkende Therapien nötig. Neue Medikamente stehen mittlerweile zur Verfügung, die eine hohe Wirksamkeit und gute Verträglichkeit haben: spezifische Antikörper und sogenannte kleine Moleküle stehen bereit, um die Neurodermitis zu behandeln. Darauf weisen die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) und der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) anlässlich des Welt-Neurodermitis-Tages am 14. September 2021 hin.
Von Neurodermitis, in Fachkreisen auch atopische Dermatitis (AD) genannt, sind in Deutschland etwa 3,5 Millionen Menschen betroffen – vor allem Kinder. Typisch sind Trockenheit, rote Flecken, Bläschen und Schuppung der Haut. Kinder und Erwachsene leiden gleichermaßen an der damit einhergehenden Entzündung und dem starken Juckreiz. Fachleute schätzen, dass etwa die Hälfte der erkrankten Kinder und etwa 200.000 Erwachsene an einer moderaten bis schweren AD leiden. „Die Symptome können bei einer schweren Ausprägung die Lebensqualität der Betroffenen massiv mindern. Nachts stören Juckreiz und Schmerzen den Schlaf und die sichtbaren Hautveränderungen werden von manchen im sozialen Umfeld als ‚abstoßend‘ wahrgenommen, was zu einer Stigmatisierung führen kann“, weiß Dr. med. Ralph von Kiedrowski, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD) und niedergelassener Dermatologe in Selters.
Neurodermitis mit spezifischen Antikörpern behandeln
Um eine schwere Neurodermitis zu behandeln, setzen Ärztinnen und Ärzte bei Erwachsenen Immunsuppressiva, z. B. Ciclosporin, zur Hemmung des Entzündungsprozesses ein. „Damit lassen sich Erfolge erreichen, aber wegen potenziell ungünstiger Nebenwirkungen ist die Therapie meist zeitlich begrenzt“, erläutert Professor Dr. med. Michael Hertl, Präsident der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Marburg. Seit 2017 ist Bewegung in das Behandlungsspektrum gekommen. Neue Therapien in Form von spezifischen Antikörpern und sogenannten kleinen Molekülen haben eine neue Ära eingeleitet. Zu den antikörperbasierten Therapien (sogenannten Biologika) gehört Dupilumab, das als erstes Biologikum zur Behandlung der moderaten bis schweren AD zugelassen wurde – mittlerweile auch für Jugendliche und Kinder ab sechs Jahren. „Der Vorteil von Dupilumab liegt darin, dass wir jetzt für die schwer Erkrankten eine Option haben, die bei 60 bis 70 Prozent der Patientinnen und Patienten sehr gut wirkt“, führt Hertl aus. Auch wenn man nicht von einer Heilung sprechen könne, so seien die Reduktion des Juckreizes, die Verbesserung des Hautbildes und das verbesserte Schlafvermögen ein großer Erfolg. Die Verträglichkeit von Dupilumab (alle zwei Wochen mittels Fertig-Pen oder Fertigspritze verabreicht) wird mit sehr gut eingestuft, es kann aber zu entzündlichen Veränderungen am Auge kommen. Neben Dupilumab ist seit Juni 2021 auch Tralokinumab zugelassen und wird bereits bei Patientinnen und Patienten eingesetzt. Weitere Biologika mit für die Neurodermitis spezifischem Wirkansatz wie z. B. Nemolizumab und Lebrikizumab, sind in der klinischen Entwicklung.
Neurodermitis mit JAK-Inhibitoren behandeln
Ebenfalls vielversprechend sind zudem die JAK-Inhibitoren, die nach Experteneinschätzung auch für die Neurodermitisbehandlung ein großes Potenzial haben. Seit Oktober 2020 ist für Erwachsene der Wirkstoff Baricitinib für die Indikation atopische Dermatitis zugelassen. JAK-Hemmer sind kleine Moleküle, die sehr wirksam Entzündungsprozesse hemmen. Im Unterschied zu den Biologika sind sie nicht auf einzelne Botenstoffe zugeschnitten, sondern hemmen die Signalweiterleitung in der Zelle mit dem Effekt, dass die Entzündung abklingen kann. Professor Dr. med. Tilo Biedermann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie, TU München erklärt: „Der Vorteil der JAK-Inhibitoren ist, dass wir die Inhibition schrittweise modulieren und Wirkung und Nebenwirkungen steuern können“. Die JAK-Inhibitoren seien insgesamt durch ihre schnelle Wirksamkeit gekennzeichnet und führten bei den Patientinnen und Patienten rasch zu einer Besserung des Ekzems und reduzierten den Juckreiz, so Biedermann. Zu den häufigsten Nebenwirkungen der als Tabletten verabreichten Medikamente gehören Entzündungen der oberen Atemwege, Kopfschmerzen und erhöhte Werte der Kreatin-Kinase (Enzym für den Energiestoffwechsel der Muskelzellen). „Die JAK-Inhibitoren sind eine willkommene Ergänzung der therapeutischen Möglichkeiten, denn sie können beispielsweise auch denjenigen Patienten weiterhelfen, die von den anderen Therapien nicht so profitieren konnten“, so der DDG-Past-Präsident.
Weitere Moleküle aus der Gruppe der JAK-Inhibitoren, wie Upadacitinib (zugelassen im August 2021) oder Abrocitinib, werden in der näheren Zukunft das Therapiespektrum ergänzen. Erforscht werden zudem in Studien Delgocitinib, Ruxolitinib und Tofacitinib, die in Cremes zur direkten Anwendung an der Haut verabreicht werden, wodurch Nebenwirkungsrisiken deutlich gesenkt werden sollten.
Die Experten sind sich einig: Die neuen therapeutischen Optionen sollten immer dann häufiger eingesetzt werden, wenn die moderate bis schwere Neurodermitis mit topischen Medikamenten allein nicht ausreichend behandelt werden kann. Die Nachweise über die Effektivität der neuen Medikamente liegen vor. Professor Hertl fasst zusammen: „Wir haben im vergangenen Jahr diese neuen Behandlungsempfehlungen zur Systemtherapie der Neurodermitis in die aktuelle Leitlinie Neurodermitis aufgenommen.“