… das ist für den gestressten, digitalen Stadtneurotiker zum neuen Wohlfühlversprechen avanciert. Japan zeigt, wie es geht, Europa macht es im heimischen Stadtforst nach. Doch ist es so leicht, im Wald zu mehr Achtsamkeit und Energie im Alltag zu finden? Jein, weil auch Waldbaden gelernt sein will.
Rein und Ruhe – schon das Betreten des Waldes lässt unser Herz ruhiger schlagen, senkt den Blutdruck und reduziert die Produktion der Stresshormone. Davon sind Wald-Wellness-Experten wie der präsente Autor und Förster Peter Wohlleben überzeugt und berufen sich vor allem auf ihre „Bibel“ unter dem Titel „Shinrin Yoku – Heilsames Waldbaden” von Yoshifumi Miyazaki. Der japanische Professor hatte in den 1980er Jahren untersucht, wie beim achtsamen Waldspaziergang die Düfte der Bäume Körper und Geist beruhigen, den Stresspegel senken und das Immunsystem stärken. Der Schwede Roger Ulrich hatte 1984 zugleich mit einer Krankenhausstudie aufgezeigt, dass Patienten mit einem Zimmerblick ins Grüne etwas schneller entlassen werden und weniger Schmerzmittel benötigen, als jene ohne den Blick. In einer späteren Studie kam der Forscher zu ähnlichen Ergebnissen bei Patienten auf der Intensivstation, die auf Naturbilder blickten, im Vergleich zu jenen ohne Bilder an der Wand oder mit abstrakten Malereien.
Mehr Wald, mehr eigene Abwehrzellen
Seit langem gilt Waldbaden im Mutterland Japan als anerkannte Stressmanagement-Methode und ganzheitliche Präventionsmaßnahme und wird vom japanischen Gesundheitswesen gefördert. Es gibt ein „Zentrum für Waldtherapie”, Millionen Japaner besuchen jedes Jahr nationale Erholungswälder, und Universitäten auf der Insel bieten die fachärztliche Spezialisierung „Waldmedizin” an. Wichtige Waldforscher wie Qing Li haben in jüngsten Forschungen unter anderem herausgefunden, dass die Boten- und Duftstoffe der Bäume, die wir über die Lunge und die Haut aufnehmen, die Zahl unserer Killerzellen deutlich ansteigen lassen. Qing Li ist sogar überzeugt, dass Menschen, die einen Tag im Wald verbringen bis zu sieben Tage lang mehr natürliche Abwehrzellen im Blut haben als normal. Auch ein kurzer entspannter Spaziergang von einer Stunde würde bereits die Gesundheit fördern, indem Blutdruck, Puls und Stresshormone sinken.
Sammeln, berühren, atmen
Es geht also um Gesunderhaltung durch den Wald. Um Waldmedizin durch Aroma- und Anti-Stress-Therapien. Um den Wald als Nabel des Herunterkommens statt als Kulisse und Sportrevier. Ein Modell, das auch hierzulande immer mehr Fans findet. Auf Usedom ist vor wenigen Jahren ein europäischer Kur- und Heilwald entstanden. Bei Rostock gibt es bereits länger einen „Heilwald“, und in Berlin plant ein Krankenhaus einen Waldbadepfad am See. Allerorts sind mittlerweile auch zertifizierte „Wald-Bademeister” im Einsatz. In Kursen lehren sie Waldbaden-Neulinge die Kunst des bewussten, langsamen Waldspaziergangs ohne Ziel und festen Plan, das tiefe Durchatmen, Hören des Blätterrauschens und Klären der Gedanken. Statt Wanderführungen, Pflanzenexkursionen oder Überlebenstrainings stehen sanfte Bewegungen, Achtsamkeitstrainings und Meditationen ohne Leistungsdruck im Vordergrund. Es geht ums Wahrnehmen von Formen, Farben, Geräuschen. Man solle sich ins Laub legen, in die Ferne schauen, die Baumrinde berühren, am Stamm anlehnen oder den Atem beobachten, heißt es in vielen Anleitungen. „Lege ein Mandala, flechte Gräser, sammle Steine, Eicheln oder Kastanien“, um Bekanntes neu zu entdecken. Lerne das vorbehaltlose Staunen, wertfreie Wahrnehmen und erlebe die eigene Achtsamkeit.
Der Wald wirkt
Sind es die Bäume mit ihren ätherischen Ölen und die grüne Farbe, die die Effekte des Waldbadens dominieren? Oder doch vor allem die positiven Kindheitserfahrungen im Wald und die generelle Anziehungskraft von grünen Landschaften? Forscher sind sich noch nicht einig, was sich genau hier und wie niederschlägt und wünschen sich noch mehr beweisführende Studien. Denn dass der Wald wirkt, darin zweifelt kaum jemand mehr. Die Waldmedizin ist in diesem Sinne mitten auf ihrem Weg, zu einer international anerkannten Wissenschaft zu werden. Zumindest wünschen sich das die Japaner. Denn für sie ist der Wald längst, was er für immer mehr bedeuten könnte. Ein fester Teil Natur im Alltag der Menschen, einer der ablenkt, den Kopf frei werden lässt und den Körper stärkt.